Der ehemalige Bundestagespräsident Philipp Jenniger ist im Alter von 85 Jahren gestorben. Auch Relativismus ist Verdammenswürdig.
Eigentlich war Jenninger ein hochgeachteter Politiker der CDU, der sich bis zu Bundestagspräsidenten hochgearbeitet hatte. 1984 hat der Jurist das Amt erklommen. Dann drängte er sich 1988 eine Rede zur Judenvernichtung im dritten Reich zu halten genauer zum 50. Jahresgedenken der Novemberpogrome 1938 gehalten, die gänzlich misslungen war. Nach weltweiten Protesten ist der Mensch am nächsten Tag von seinem Amt zurück getreten, zurecht. Weil er sich im Bonner Bundestag nicht mehr wohl fühlte, besorgte man ihm zwei hübsche Botschafter Posten in Wien und am Vatikan. By the way, die Ex-Ministerin Scharan ist auch am Vatikan als Botschafterin gelandet, wohlbestallt versteht sich. Bin mal gespannt, wenn ik sie Ende Februar 2018 auf einer ZEIT-Konferenz erlebe.
Zitat Jenninger:
„Für die Deutschen, die die Weimarer Republik überwiegend als eine Abfolge außenpolitischer Demütigungen empfunden hatten, mußte dies alles (Erfolge Hitlers) wie ein Wunder erscheinen. Und nicht genug damit: aus Massenarbeitslosigkeit war Vollbeschäftigung, aus Massenelend so etwas wie Wohlstand für breiteste Schichten geworden. Statt Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit herrschten Optimismus und Selbstvertrauen. Machte nicht Hitler wahr, was Wilhelm II. nur versprochen hatte, nämlich die Deutschen herrlichen Zeiten entgegenzuführen? War er nicht wirklich von der Vorsehung auserwählt, ein Führer, wie er einem Volk nur einmal in tausend Jahren geschenkt wird?“
„Sicher, meine Damen und Herren, in freien Wahlen hatte Hitler niemals eine Mehrheit der Deutschen hinter sich gebracht. Aber wer wollte bezweifeln, daß 1938 eine große Mehrheit der Deutschen hinter ihm stand, sich mit ihm und seiner Politik identifizierte? Gewiß, einige ‚querulantische Nörgler‘ wollten keine Ruhe geben und wurden von Sicherheitsdienst und Gestapo verfolgt, aber die meisten Deutschen und zwar aus allen Schichten – aus dem Bürgertum wie aus der Arbeiterschaft – dürften 1938 überzeugt gewesen sein, in Hitler den größten Staatsmann unserer Geschichte erblicken zu sollen.“
„Und noch eines darf nicht übersehen werden: Alle die staunenerregenden Erfolge Hitlers waren insgesamt und jeder für sich eine nachträgliche Ohrfeige für das Weimarer System. Und Weimar war ja nicht nur gleichbedeutend mit außenpolitischer Schwäche, mit Parteiengezänk und Regierungswechseln, mit wirtschaftlichem Elend, mit Chaos, Straßenschlachten und politischer Unordnung im weitesten Sinne, sondern Weimar war ja auch ein Synonym für Demokratie und Parlamentarismus, für Gewaltenteilung und Bürgerrechte, für Presse- und Versammlungsfreiheit und schließlich auch für ein Höchstmaß jüdischer Emanzipation und Assimilation.“
„Das heißt, Hitlers Erfolge diskreditierten nachträglich vor allem das parlamentarisch verfaßte, freiheitliche System, die Demokratie von Weimar selbst. Da stellte sich für sehr viele Deutsche nicht einmal mehr die Frage, welches System vorzuziehen sei. Man genoß vielleicht in einzelnen Lebensbereichen weniger individuelle Freiheiten; aber es ging einem persönlich doch besser als zuvor, und das Reich war doch unbezweifelbar wieder groß, ja, größer und mächtiger als je zuvor. – Hatten nicht eben erst die Führer Großbritanniens, Frankreichs und Italiens Hitler in München ihre Aufwartung gemacht und ihm zu einem weiteren dieser nicht für möglich gehaltenen Erfolge verholfen?“
„Und was die Juden anging: Hatten sie sich nicht in der Vergangenheit doch eine Rolle angemaßt – so hieß es damals –, die ihnen nicht zukam? Mußten sie nicht endlich einmal Einschränkungen in Kauf nehmen? Hatten sie es nicht vielleicht sogar verdient, in ihre Schranken gewiesen zu werden? Und vor allem: Entsprach die Propaganda – abgesehen von wilden, nicht ernstzunehmenden Übertreibungen – nicht doch in wesentlichen Punkten eigenen Mutmaßungen und Überzeugungen?“
„Und wenn es gar zu schlimm wurde, wie im November 1938, so konnte man sich mit den Worten eines Zeitgenossen ja immer noch sagen: ‚Was geht es uns an? Seht weg, wenn euch graust. Es ist nicht unser Schicksal.‘“
Textanlyse eines Jüdischen Portals, link:
„Anstoß erregte auch die relativ junge Stilfigur der erlebten Rede, die Flaubert erstmals in seinem Roman „Madame Bovary“ verwandte. Auch damals (1857) kam es übrigens zu einem Skandal und Flaubert mußte sich vor Gericht verantworten. Die Überblendung von distanzierender und identifizierender Perspektive, wie sie für die erlebte Rede charakteristisch ist, wurde von den Abgeordneten nicht erkannt. Die Verwendung aber gerade dieses Stilmittels ist mit Jenningers Grundidee einer verstehenden Analyse der Täter zu erklären. Für diesen Zweck war die erlebte Rede das geeignete rhetorische Mittel. Im Zusammenhang mit der erlebten Rede wurden zwei Vorwürfe laut: zum einen habe Jenninger sich sprachlich nicht genügend von den Tätern distanziert, und zum anderen sogar deren Sprache verwendet. „Aber verwendet er diese Ausdrücke tatsächlich? Zitiert er sie nicht eher? … Jenninger verwendet weder die direkte Rede noch übernimmt er die Nazi-Ausdrücke in seinem eigenen Sprechen“ (Heringer 1990, 171).“