aa -Tagesimpulse Übergänge

death cafe Hamburg

Am 16.3.17 hat in Hamburg St. Pauli das zweite „Death Cafe“ vom Trauernetzwerk stattgefunden.

Es sind immerhin knapp 20 Menschen erschienen, die aus den unterschiedlichsten Richtungen kamen: Hospizlerinnen, Trauerbegleiter, drei BestatterINNEN und einfach offene und interessierte Menschen. Wie gewünscht vom Veranstalter erschienen nicht etwa trauernde Menschen, sondern Menschen mit einer inneren Offenheit für das Thema Tod und Abschied.  An unserem Tisch waren prägend zwei Themen: Der Modus und die Gestaltung von Trauerfeiern für eine neue Generation und die Auflösung von Interessengegensätzen zwischen verschiedenen Gruppen von Entscheidern und Betroffenen.

update : Eine neue Auflage eines DEATH Cafes gibt es im Juni 2017 in der Modern LIFE SCHOOL, link.

1. Trauerfeiern ein modernes Gewand geben

Wie kann man die Traditionen der verstaubten Bestattungskultur brechen im Sinne einer Modernität des Lebensgefühls einer 21. Jahrhunderts-Generation. Oftmals hat man das Gefühl, dass der Muff von 1000 Jahren noch in vielen Bestatter-Mänteln und Bestatter-Geistern weht und die gerne ansagen (würden), was ich an Trauerfeier gehört. Eine Teilnehmerin meinte, sie würde gerne eine Playlist hinterlegen, welche Songs bei Ihrer Beerdigung zu spielen seien. Ein Vertreter des größten Bestattungshauses in Hamburg nahm den Gedanken dankbar auf, um die Idee der Bestattungsvorsorge einzuführen. Hier können alle Wünsche für die eigene Feier hinterlegt werden und es gibt eine gute Chance, dass sie genauso, wie hinterlegt, realisiert werden. Überraschender Weise kam am Tisch zu diesem Gedankengang nur positive Resonanz. Das spricht tatsächlich auch für einen Wandel im Umgang mit der Notwendigkeit Bestattungen zu regeln und einer Enthebung der Bestattungspflicht der Kinder, rsp. nächsten Angehörigen, durch die eigenverantwortliche Selbstregelung, Selbstbezahlung und damit auch einer ausdifferenzierten Selbstbestimmungs-Idee.

Eine andere Teilnehmerin, eine mitteljunge, hochdynamische Witwe, die sich in der Hospizbewegung engagierte, erzählte von dem gesellschaftlichen Druck, der bei ihr auf dem Dorf entstand, als sie sich für eine sehr moderne Bestattung ihre Mannes entschied. Sarg-Anmalen finde ich ein wunderbares Mittel zur Gefühlsgestaltung von Trauer und Verbindungsschaffung zur Realität des Abschieds. Eine Trauerfeier im eigenen Garten als Feier des Lebens ist doch eine wunderbare Inversion und Gedankenkehrung der trübseeligen verdunkelten Nebelveranstaltungen, die Bestatter jahrzehntelang mit Leichenbittermine durchgezogen haben. Wenn man nach Cuba schaut, dann sieht man, mit welcher Feierfreude, die einen Leichenzug mit lauter Musik veranstalten, um einen Toten in sein neues Reich zu geleiten. (hier klicken zur Lebensfeier)

2. Disparität zwischen Wünschen des Toten und der Trauernden

Heiß diskutiert wurde auch das Thema, wie es sich verhält zwischen den Wünschen und Anweisungen des Verstorbenen und den Bedürfnissen der Trauergemeinde. Wenn sich der Tote eine anonyme Bestattung aus Unwissenheit und falscher Rücksichtnahme gewünscht hat, als Ausdruck seines Understatements und seiner Unwichtigkeit in der Welt, so heißt das noch lange nicht, dass das eine gute Lösung für die intensiv Trauernden ist. Nach meiner Erfahrung als Trauerbegleiter hinterläßt die Anonyme Bestattungsentscheidungen in der Seele der Trauernden ein gewichtiges Vakuum, dass zu einer Blockade der Trauerverarbeitung führen kann, weil es keinen konkreten Trauerort gibt – Alternativen zur anonymen Bestattung bietet der Verein Quo Vadis, link.  Es geht bei der Gestaltung von Bestattungen und der Wahl des Friedhofes eben auch, wenn nicht sogar übergewichtig um die Trauer der Hinterbliebenen.

Auch intensiv wurde debattiert, ob man eine Trauerfeier machen sollte, wenn es der Verstorbenen nicht gewollt hatte.  Schnell wurde Konsens am Tisch erreicht, dass eine Trauerfeier die einzige Möglichkeit ist, einen angemessenen und würdevollen Abschied vom Leben zu gestalten.  Der Vertreter vom GBI zeigte anhand von drei unterschiedlichen Beispielen auf, wie herzbewegt Bestattungen individuell gestaltet werden können, in dem beispielsweise ein Freund oder Familienmitglied sein Musikinstrument mitbringt und ein Abschiedslied spielt. Live-Musik von echten Menschen ist immer besser als Konserven-Musik aus der Digital-Dose der Unbelebtheit – ein Anruf bei der Musikhochschule im Sekretariat sollte reichen.

3. Disparität zwischen verschiedenen Teilnehmer-Gruppen und Generationen bei einer Trauerfeier

Auch intensiv wurde debattiert, ob man eine Trauerfeier machen sollte, wenn die Bedürfnisse der Gäste extrem unterschiedlich sind. Wenn ein junger Kneipenwirt verstirbt, der in der Szene von St Pauli ein bunter Hund war, so sind seine Gäste, dem Alkohol zugeneigt eher so drauf , Einen kräftig zu Heben auf den Verstorbenen, während die Familie des Wirtes sicherlich ganz unterschiedliche Vorstellungen hierzu hatte.  Die Lösung solcher Disparitäten besteht schlichtweg darin, dass man zwei unterschiedliche Veranstaltungen durchführt, die auf die Bedürfnislage der unterschiedlichen Generationen und Verbindungsgemeinschaften individuell zugeschnitten ist.

Ein anderer Gast berichtete von einer Trauerfeier, wo ein Gast gesagt hat, „Ohne „Vater Unser“ geht die Urne nicht ins Grab“. Heiße Diskussionen entstanden, ob das Übergriffig gewesen ist oder nicht.

Ein anderer Gast berichtete, wie seine Wirtschaftskunden immer „die Klappe zumachten“, wenn es um das Thema Hospiz und Abschiedskultur ging. Auch erzählte er von einer nicht geplanten Trauefeier ex post, die sich entwickelt hat aus dem Freundeskreis des Verstorbenen in einer Kneipe, weil es ein inneres Bedürfnis gab, sich nochmal mit dem Menschen zu verbinden durch Geschichtenerzählen über ihn und somit ein Teil der gemeinsamen Wegesstrecken zu beleuchten und den dadurch gewonnen Herzensraum noch mal in die Gegenwart zu gießen. Die Schwester des Toten wollte eigentlich gar nichts von solcherlei „Zusammenkünften“ wissen und war nachher durch dieses ungeplante Happening als Erzählort super happy. Wenn dem doch so ist, so sollte man doch eine Trauerfeier mit Leichenschmaus planen im o.g. Sinne einer Offenheit der Gestaltung, die auch so weit gehen kann, dass man die tradierten Orte von Trauerfeiern verlässt und sich einfach an der Elbe versammelt zur Trauerfeier, oder an der Alster, oder im Wald neben den Tieren trifft.

Eine Bestatterin beschwerte sich über  Trauergemeinschaften, die es nicht schaffen würde bei dem letzten Gang mit der Urne zum Grab auf dem Friedhof, mal die 200 Meter zu schweigen und über die lächerlichen Kleinigkeiten des Alltags zu sabbeln “ Das Klopapier ist alle, die Pflegeversicherung muß gekündigt werden.“   Auch störte sie sich an den Trauergästen, die mit einer Fluppe im Mundwinkel über die Häßlichkeit der Schmuckurne lästerten.  Auch hier gab es spannende Impulse: Wenn wir in einer werteauflösenden Gesellschaft angekommen sind, so ist es doch super einfach auch kleine Regeln ad hoc zu formulieren. Um am Beispiel zu bleiben:  “ Liebe Trauergemeinde, auf besonderen Wunsch möchten wir jetzt die letzen Meter des Reiseweges von xy schweigend zum Grab gehen“. Ein anderen junger Mensch meinte, dass es sich vielleicht auch eine Übersprunghandlung sein könne, weil man mit der Trauer, der Situation nicht umzugehen weiß und warb für mehr Toleranz für die schwache Seele. Letztendlich wird es sich nicht klären lassen, ob es ein Werte-Verfall-Problem ist, oder ein psychologisches Überforderungssyndrom. Aus meiner Erfahrung von Trauerzügen zum Grab kann ich anfügen, dass ich ein leises Tuscheln für durchaus sozial angemessen empfinde, wenn man Menschen trifft, die man lange nicht mehr gesehen hat.  Andererseits hat so eine angesagt Beschweigung eines Weges auch eine besondere Qualität, insbesondere, wenn man Grab dann noch ein Instrument spielt, wie ein Cello, ein Saxophon oder ein Dudelsack. An solchen Stellen des Lebens kann man die Übergangsbesonderheit besonders intensiv empfinden und der Gedankenaustausch kann auf den anschließenden Leichenschmaus verschoben werden.

(Spektrum der Wissenschaft schreibt zur Definition von Übersprunghandlung: „Übersprungshandlung, Ersatzhandlung; bei Tieren solche Bewegungen, die dem gerade ausgelösten Instinktverhalten nicht entsprechen: Zwei kämpfende Hähne picken plötzlich am Boden, als seien sie hungrig (Vergleichende Verhaltensforschung).

Der Lebenskreis

Relativ zum Anfang des death cafes entwickelte sich die Gedankenparallele zwischen dem Tod, als Endigung des Seins und der Geburt als Beginn des Seins. Warum wird „um die Geburt so ein Geschiss gemacht, aber beim Tod versucht man möglichst alles mit Scham in die Unsichtbarkeit zu zerren.“  Als Christ glaubt man zumindest, dass es nach dem Tod ein Weiterleben nach dem Tod gibt, was sich deutlich kristallisiert am höchsten Christlichen Fest, Ostern, das die Wiederauferstehung feiert. Fritz Roth, der Vordenker des Bestattungswesens aus Bergisch-Gladbach, wollte eine Geburtsklinik direkt neben seinem Friedhofsberg errichten lassen. Tod – Leben – Geburt gehören als Seins-Formen und Begrifflichkeiten in einen ganzheitlichen Gedankenkosmos.

Resümee Death Cafe Hamburg Edition Trauernetzwerk

Ich selbst war tatsächlich 3 Stunden dort, obwohl ich schon nach einer Stunde gehen wollte.  Ich bin gespannt, wann das nächste stattfinden wird. Hier kommt ihr zu dem Veranstalter-Kollektiv, link. Einen sehr guten Eindruck hatte ich von der Veranstalterin Melanie Torney, die junge, sehr engagiert und differenziert das Thema Abschiedskultur in der Hamburger Gesellschaft verankern möchte. Hier kommt ihr zu ihrer Website, link. Ihre Projekt in Bezug auf die schöner-Gestaltung von Trauer heißt Edition Anfang-Ende, hier klicken.

Mein Lieblingsgedanke aus meiner Trauerbegleiterausbildung bei ITA Institut für Trauerarbeit  heißt:

Wer sich ins Gehen begibt, dem eröffnen sich neue Wege!

Bildrechte Conny Jenckel

death cafe Hamburg

About the author

Giovanni

Giovanni ist studierter Jurist und Philosoph als Marketingleiter bei einem Mittelständler unterwegs, Geschäftsführer einer Agentur, ehrenamtlicher Sterbebegleiter, zertifizierter Trauerbegleiter, Beirat ITA Institut für Trauerarbeit, Mitgliedschaften: Marketing Club Hamburg, Büchergilde Hamburg, Förderverein Palliativstation UKE, ITA, Kaifu Lodge, Kaifu-Ritter