in einem megafetten Aufsatz im Hamburger Abendblatt vom 08.06.2017 breitet der Friedhof Ohlsdorf seine Pläne für die Umnutzung des Geländes des Ohlsdorfer Friedhofes aus.
Friedhof Ohlsdorf als Eventfläche? Friedhof Ohlsdorf als Kinderspielplatz?
Es werden in dem halbseitigen Artikel allerlei Behauptungen aufgestellt, die leider sachlich völlig falsch sind und einige Setzungen, die aus Friedhofssicht formuliert ein Bild entstehen lassen sollen, das faktisch die Bestattungslandschaft nicht ganzheitlich beschreibt. Hier kommt ihr zu dem Artikel, link.,
Einen Informationstag kannst du am 17.09.2017 auf dem Ohlsdorfer Friedhof erleben, hier klicken
1. Behauptung: die Bestattungszahlen wären dramatisch runtergegangen.
Hübsch sind immer Behauptungen, die mit echten Zahlen nicht untermauert sind. Faktisch sind die Bestattungszahlen die letzen 20 Jahren nicht dramatisch gesunken, sondern auf gleichem Level stabil geblieben. Beweisantritt
Verstorbene – Todesjahr in Hamburg
21.199 1990
19.328 1997
17.091 2008
17.060 2010
17.565 2015
gap in 20 Jahren = 1995-2015 = 2711= -13,37 %. 13 % Rückgang ist nicht wirklich ein „dramatischer Rückgang der Bestattungszahlen in Hamburg!
2. Behauptung: die Kapellen auf dem Ohlsdorfer Friedhof wären nicht mehr benutzt worden.
pricing Kapellennutzung Gebührenstruktur Preisleistungsverhältnis
Fakt ist, dass der Ohlsdofer Friedhof als Teil der öffentlichen Verwaltung jedes Jahr die Gebühren erhöht hat für die Benutzung der Trauerfeierkapellen und alle Friedhofsgebühren in toto. So zahlt man heute für eine „einfache“ Zeit der Kapellenmiete sagen und schreibe 260 €, was für den Kunden bedeutet, dass er für die reine Feierzeit die Kapelle 40 Minuten nutzen kann. Die anderen 50 Minuten nutzt der Bestatter für den Auf- und Abbau. Durch den zunehmenden Trend insbesondere bei den Bestattungskosten zu sparen entstand der Eindruck, man könnte gigantisch viel Geld sparen, indem man die Trauerfeier einfach unter den Tisch fallen lässt.
Faktisch richtig ist, dass man, de jure, eine Bestattung auch ohne Trauerfeier durchführen kann. Aus trauerpsychologischer Sicht kann ich als ausgewiesener und zertifizierter Trauerbegleiter davon aber nur abraten!.
Durch die Formulierung in dem Artikel vom Hamburger Abendblatt entstand der Eindruck, dass die Kapellen monatelang ungenutzt rumstanden. Fakt ist, dass sie durch den Rückgang der Trauerfeiern in Hamburg deutlich weniger genutzt worden sind, aber schon mehrmals pro Woche. Dann hat der harte Zahlen-Rechen-Besen der Friedhofsverwaltung zugeschlagen und sich mit solchen Gedankengespinsten wie Effizienzrechnungen beschäftigt. Hintergrund: Zu jeder Kapelle gehört ein Kapellenwärter, der die Kapelle umsorgt, darin wohnt und verantwortlich ist für das angrenzende Friedhofsgebiet. Durch die Effizienzkoeffizienten ist man auf den falschen Trichter gekommen, dass man eine Reihe von Kapellen schließen könnte, um Personalkosten zu sparen und letztendlich auch Instandhaltungskosten der Kapellen auf dem Ohlsdorfer Friedhof. Die Kapellenschließungen wurden einfach angeordnet und durchgezogen 2016, ohne die Bestatter-Gilde zu fragen oder die Pastoren, die die Kapellen hauptsächlich nutzen.
Warum wäre es wichtig gewesen die Kapellen offen zu halten?
Die Anordnung der Kapellen hat einen ganz pragmatischen Grund. Sie sind von den damaligen Friedhofsdirektoren so angelegt worden, dass die Käufer, Kaufentscheider, Grabnutzer einen möglichst kurzen Weg zum Grab gehen mussten. Insbesondere durch den wirklich dramatischen Anstieg der Hochaltrigkeit in unserer Hamburger Gesellschaft und damit der einhergehenden Hochaltrigkeit der Trauergesellschaften ist es schon ein starkes Stück, dass die Kapellen geschlossen wurden, weil es sich nicht rechnet und dementsprechend die Gäste einen „unendlich viel längeren“ Weg zur ihrer Grabstätte gehen müssen.
Müssen Friedhöfe kostenneutral betrieben werden?
Eine der gedanklich grundlegenden Fehlstellungen und Weichenstellungen ist die Idee, dass ein Friedhof wie ein Wirtschaftsunternehmen betrieben werden müsste. Im öffentlichen Recht im Jura-Studium lernt man schon sehr bald eine der Kernsäulen des Staatsrechts. Die Arbeitsteilung der Gesellschaft impliziert, dass der Staat Steuereinnahmen von seinen Bürgern bekommt, damit sich der Staat um Aufgaben des Allgemeinwohls kümmern kann. Dazu gehört die Bereitstellung von Polizei, Feuerwehr und die Bereitstellung von Friedhöfen. Das Fachwort, terminus technicus, heißt DASEINSFÜRSORGE. Die Aufgaben und Kosten von Friedhöfen sind Teil der Daseinsfürsorge, die wir Steuerbürger gerne zahlen. Dummer Weise darf der Steuerbürger aber nicht darüber entscheiden, wofür das Geld ausgegeben wird, sondern das entscheidet die Regierung und der Senat der Stadt Hamburg.
Zitat Gablers Wirtschaftslexikon:
„Daseinsfürsorge bezeichnet die grundlegende Versorgung der Bevölkerung mit wesentlichen Gütern und Dienstleistungen durch den Staat und/oder von der öffentlichen Hand geförderten Organisationen. Mitunter werden auch Bezeichnungen wie „Existenzsicherung“ oder „zivilisatorische Grundversorgung“ verwendet. Als Felder der öffentlichen Daseinsvorsorgen werden häufig Aufgaben wie Abfallbeseitigung, Wasserversorgung, Energieversorg und öffentlicher Personennahverkehr genannt.
Der Begriff wurde in den 1930er-Jahren von Ernst Forsthoff im Anschluss an Karl Jaspers in die gesellschaftspolitische und verwaltungsrechtliche Debatte eingebracht. Welche Güter und Dienstleistungen von staatlicher Seite aus erbracht bzw. gewährleistet werden sollen, ist – ebenso wie der Begriff als solcher – Gegenstand kontroverser Diskussionen, die gesellschaftlichen Wandlungsprozessen unterliegen. Im Zusammenhang mit knappen öffentlichen Finanzmitteln, demografischem Wandel, Bevölkerungswegzug sowie Liberalisierungs-/Deregulierungsüberlegungen und grenzüberschreitendem Wettbewerb wird sowohl das Angebot von Gütern/Dienstleistungen als auch die Erbringungs-/Gewährleistungsform diskutiert.“
Bildrechte Gablers Wirtschaftslexikon
Die Aufgaben des Friedhofes sind nicht nach Effizienzberechnungen zu definieren, sondern nach dem Nutzen, den der Kunde von den Angeboten hat. Der Friedhof ist kein Profitcenter, sondern ein Teil der öffentlichen Verwaltung. Oder soll man jetzt vielleicht Leistungsziffern der Wirtschaftsbehörde ermitteln, und nach Effizienzberechnungen die Aufgaben der Behörden-Beamten bemessen?
Daher sollten man die Controller-Macht in den Denkmustern auf dem Ohlsdorfer Friedhof beschneiden, die Gebühren nach den Möglichkeiten der Nutzer definieren und sehen, dass die Bestattungskosten, hier insbesondere die Grabnutzungskosten sich dramatisch senken, denn 2200 € für eine Erdbeisetzung, ohne jegliche Bestatterleistungen, überfordern viele Hamburger Bürger, die sich dann für eine Entsorgungsbestattung entscheiden. Entsorgungsbestattung heißt auch keine Trauerfeier zu buchen.
Umnutzung des Friedhofes juristisch zulässig?
Der Friedhof überlegt, die aufgelassenen Kapellen umzunutzen in Eventflächen und ein Kindergarten soll dort entstehen. Nun entscheiden aber die Käufer und nicht die Anbieter von Angeboten, ob etwas in der Marktwirtschaft funktioniert. Den Tod mit Kindern zu verkoppeln, die doch das Leben repräsentieren, ist nicht nur ein sportliches Ansinnen, sondern eine völlige gedankliche Fehlkonstruktion. Ich als Vater würde mein Kind nicht auf den Friedhof in den Kindergarten schicken und zum spielen zwischen den Grabsteinen.
Wenn man überlegt, dass der Friedhof einen Widmungszweck hat, die Bestattung von Toten, einen Ruheort für die Toten bereit zu stellen, einen Trauerort für die Trauernden bereit zu stellen, dann wäre es doch total hübsch, wenn man sich seinem Widmungszweck widmen würde und nicht ständig über line extensions, oder Geschäftsfelderweiterungen nachdenken würde.
Ein Friedhof bleibt ein Friedhof, ein Friedhof soll ein Friedhof bleiben, ein Friedhof ist keine Eventfläche, sondern ein Trauerort und ein RUHE-ORT für die Trauernden, die viel Geld für die Grabnutzung beim Friedhof eingezahlt haben.
massiver Flächenüberhang auf dem Ohlsdorfer Friedhof – was könnte man damit alles hübsches machen?
Wenn man sich historisch-wissenschaftlich mit der Geschichte von Friedhöfen beschäftigt, dann braucht man nur wenige Tage, um nachweisen zu können, dass Friedhofsflächen schon immer einem stetigen Wandel unterworfen waren. Durch die Entwicklung der Stadt Hamburg in den letzten 200 Jahren sind viele innerstädtische Friedhöfe ein Störfaktor für die Stadtentwicklung gewesen. So war auf dem Gelände des heutigen Hauptbahnhofes in Hamburg ein Friedhof. Die Stadt wollte wachsen und hat vor 140 Jahren den Ohlsdorfer Friedhof ins Leben gerufen, der in der gleichen Tonlage geboren wurde, wie der Zentralfriedhof in Wien, zu gleicher Zeit. Die Idee war die Regionalfriedhöfe platt zu machen, so erzählte mir der Friedhofsdirektor in Wien 2015. Leider haben die Kaufentscheider nicht mitgespielt in Wien, so dass es zu einem gigantischen Investionsstau in Wien auf den Stadtteilfriedhöfen gekommen ist. In Hamburg war man schon immer rücksichtslos mit Bausubstanz und so sind in dem Change-Prozeß um die Jahrhundertwende viele Friedhöfe aufgelöst worden, wichtige Grabsteine nach Ohsldorf umgelagert worden, um städtisch wichtige Projekte dort zu bauen. Wenn sich nun herausgestellt hat, dass der Ohlsdorfer Friedhof sich bei seiner Flächenbedarfrechnung in den 1920er Jahren dramatisch verhauen hat, dann sollte man sich überlegen, wie man die Fläche sinnstiftend für die Hamburger nutzt. Eine Variante wäre, große Flächenarreale als grüne Lunge, Naherholgungsgebiet zu definieren. Ich persönlich als Trauernder fühle mich massiv gestört wenn in grellsten SCHREI-Modefarben die Rennradfahrer über die Friedhofsflächen brettern oder noch schlimmer in grellsten peinlichsten Modefarben die Jogger ihren Schweiß und Keuchen über die Grablandschaften verteilen. Was hat das mit Ehrfurcht vor den Toten zu tun?
In dem oben angesprochenen Artikel des Hamburger Abendblatts wird auch eine apodiktische Meinung des SPD Abgeordneten Rösler zitiert. Er sagt, dass er sich Baulandnutzung auf dem Gelände des Ohlsdorfer Friedhofes nicht vorstellen könne, weil es darum ginge die Größe als Ganzes zu erhalten. Ist ganz im Sinne der Friedhofsverwaltung- Zitat Hamburger Abendblatt:
„Es liegt auf der Hand, sich über die Zukunft dieser wunderbaren 140 Jahre alten Anlage Gedanken zu machen“, sagt Harald Rösler (SPD). Aus seiner Sicht sei es aber nicht vorstellbar, Kapellen kommerziell zu nutzen oder den Friedhof kleiner zu machen „und auf so abgetrennten Flächen etwa Wohnungsbau zu betreiben“. Wolle man die Weitläufigkeit des Friedhofs und seine denkmalgeschützten Kapellen erhalten, müsse man neue Nutzungsmöglichkeiten finden, die nicht die Würde des Ortes verletzen.“
Ich möchte an dieser Stelle gerne Prof. Niclas Luhmann zitieren, den berühmten Erfinder der Systemtheorie, die besagt, dass elaborierte Systeme dazu neigen selbstreferentielle Normen zu schaffen, die nicht rückgebunden sind mit der Wirklichkeit, und die dazu dienen das bestehende System auf Teubel komm raus, zu stützen…..
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