„Offizium“ sammelt geniale Klangideen des Hillard Ensembles und Jan Gabareks
Officium ist die schönste CD, die jemals aufgenommen wurde. Das leider inzwischen aufgelöste Hillard Ensemble, eine USamerikanische acapella Gesangseinheit, hat mittelalterliche Gesänge aufgenommen zusammen mit dem Saxophonisten Jan Gabarek. Ich habe die CD durch meine Kreise recht früh zugespühlt bekommen, Mitte der 90er Jahre und seitdem habe ich ich sie ca 300. Millionen Mal gehört. Ich mag ihren meditativen, ruhestrahlenden Charakter, die Ausstrahlung der inneren Einkehr. Ideal geeignet für die dunkle Jahreszeit.
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Rezension
Ein Kunstwerk zu beschmieren, gilt gemeinhin als Barbarei – das hat nicht einmal der inzwischen zur Figur der Kunstgeschichte erhobene Sprayer von Zürich gewagt. Und nach der Reinigung der Fresken in der Sixtinischen Kapelle dürfte Rom für alle Saubermänner und -frauen der Welt ein kulturpolitisches Reiseziel sein. Aber was etwa der Österreicher Arnulf Rainer mit übermalten Fotos der Atombombenkatastrophe von Hiroshima und anderen Vorlagen kürzlich in Wien, was Dieter Schnebel mit der orchestralen Übertünchung von Schuberts Fantasie-Sonate gewagt hat, gilt längst als schöpferische Kategorie der authentischen Zeitebenen-Vermischung in der Kunst. Auf nachschöpferischem Gebiet haben Vergleichbares nun der Jazz-Saxophonist Jan Garbarek und das A-cappella-Quartett der Hilliards versucht. Das Ensemble singt von gregorianischer Einstimmigkeit (um ein harmonisches Baßgerüst bereichert) über frühe niederländische Polyphonie (Perotin, Dufay) bis hin zu deren Höhepunkten bei Pierre da la Rue und Cristóbal de Morales sakrale Sätze, die Garbarek mit dem Sopran- und Tenorsax kommentiert. Sie sind teils als improvisatorische Arabesken ins kirchentonartliche Umfeld gesetzt, können sich aber auch harmoniefremd als Konfliktpotential in der akustischen Übermalung verselbständigen. 150 Jahre nach Adolphe Sax‘ Erfindung des Saxophons wird das Jazz-Instrument, das einst bei Jules Massenet als psychedelisch transzendierende Kraft in der E-Musik eingesetzt war, für diese zurückgewonnen. Das dürfte manchen Jazz- und Klassik-Fan irritieren, aber das einzige, was man Garbarek vorwerfen kann, ist, daß er nicht noch weiter in der konfliktreichen Verselbständigung seines Instruments gegangen ist. Dem trägt die Tontechnik Rechnung, indem sie das Saxophon zu stark in den Vordergrund stellt. Dennoch: eine faszinierende Klangreise über 77:41.
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Wunderbar rein und klar klingen die Stimmen des Hilliard Ensembles, und ebenso natürlich schlängeln sich Jan Garbareks Tenor- und Sopransaxophon durch die mittelalterlichen Gesänge der vier Briten. Wie eine fünfte Stimme wirken die Saxophon-Töne, und doch bewahren sie eine hauchfeine, angenehme Distanz zu den 15 Gesängen aus dem 13. bis 16. Jahrhundert. Die Begegnung fiel so intensiv aus, daß sich nach Góreckis ruhmreicher 3. Symphonie und den gregoriantischen Gesängen der spanischen Mönche womöglich ein neuer Klassiker-Hit anbahnt.
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