Auch wenn der Tod schon 2015 zu verzeichnen ist, so möchte ich diesen wichtigen Menschen würdigen, der sich an der Uni Hamburg als Literaturwissenschaftler verdient gemacht hat, insbesondere in der Filmtheorie. Ich kann mich nur extrem gut an seine Vorlesungen in den 90er Jahren erinnern zur vorfilmischen Schreibweise in der Literatur des 19. Jahrhunderts und die diversen abendlichen Kinobesuche im alten Metropolis, bei denen Filme der ersten Jahre dem kleinen Kreis der Studierenden vorgeführt worden sind, die Werke der 20er Jahre, auch aus Rußland und die Lokomotiven des Todes in der Filmlandschaft des 2. Weltkrieges. Das Metropolis ist seit dem Umbau seiner Aura beraubt worden und gefühlt zu einem Kellerkino geworden, link.
Bei Amazon gibt es noch ein Buch zu kaufen: Literatur im Medienzeitalter, was die WBG Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2003 herausgegeben hat. Link.
Prof. Harro Segeberg verstarb 2015
Einen Nachruf von Knut Hickethier drucken wir hier ungekürzt ab:
Nachruf zum Tod von Prof. em. Dr. Harro Segeberg
8. Juni 2015
Er war ein Grenzgänger zwischen der Literatur und dem Film. Wie viele Medienwissenschaftler seiner Generation kam er von der Literaturwissenschaft, genauer: von der germanistischen Neuen deutschen Literatur, zu den Medien, sah darin eine logische Fortsetzung einer fachwissenschaftlichen Entwicklung. In beiden wissenschaftlichen Feldern war er bis zu seinem Lebensende außerordentlich aktiv.
In Hamburg geboren, studierte er in Tübingen und Hamburg, wo er 1973 von Adolf Beck mit einer Arbeit über Friedrich Maximilian Klingers Romandichtung promoviert wurde. Nach der Promotion machte er sich in der Literaturwissenschaft einen Namen mit Arbeiten zum Literarischen Jakobinismus und zur Spätaufklärung, widmete sich dann aber vor allem dem Verhältnis von Literatur und Technik, hier besonders mit der Darstellung der Technik in der Literatur, den Technikbildern und den sozialen Dimensionen der Technik. Das Verhältnis von Dichtung und den technischen Veränderungen der Moderne beschäftigte ihn lange schon bevor die Technik von einer assoziativ denkenden Literaturwissenschaft als Thema und Gegenstand entdeckt wurde. Er, der sich auch mit Ernst Jünger und dem Komplex der Arbeit auseinandersetzte, als ein solches Interesse in der Fachwelt heftig kritisiert wurde, war selbst ein solider wissenschaftlicher Arbeiter aus der philologischen Schule, der assoziativen Spekulationen distanziert gegenüber stand, alles historisch genau nachprüfte, der Wert auf präzise und nachvollziehbare Analysen von Texten und literarischen Verhältnissen legte.
Von seiner Begeisterung für das Verhältnis von Literatur und Technik, das er mehrfach in umfangreichen Büchern untersuchte, war der Weg zu den Medien und vor allem zum Film als einem besonderen technisch geprägten Medium der Moderne nicht weit. Es ergab sich folgerichtig aus seiner Beschäftigung mit dem ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert. Auf drei Bände war eine Publikation angelegt, die sich mit der Frühgeschichte des Films auseinandersetzte; sie ging auf Vorlesungsreihen zum 100. Geburtstag des Films 1995 an der Hamburger Universität zurück, die er vor allem organisierte. Mobilisierung des Sehens, Etablierung des Kinos, Perfektionierung des Scheins – das waren die ambitionierten, programmatisch gesetzten Titel der Reihe, die er dann fortsetzte mit Themenbänden bis zum Film in der Gegenwart, zum Kino im Zeichen der Digitalität.
Die frühe Film- und Kinogeschichte beschäftigte ihn immer wieder in seiner Forschung. In seinen von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekten ging es um die frühe Kinogeschichte in Hamburg, in einem anschließenden Projekt über das Verhältnis von Medialität und Modernität im NS-Kino. Ein letztes Buch darüber konnte er noch vor seinem Tod fertig stellen.
Harro Segeberg trug mit seinen Forschungen und mit seiner Lehre viel zum Aufbau und Ausbau der Medienwissenschaft in Hamburg und darüber hinaus in Deutschland bei. Nach Promotion und Habilitation wurde er 1983 in Hamburg Professor, zunächst für Neuere deutsche Literatur, dann auch für Medien. Er lehrte zeitweise in Bordeaux und Graz und kooperierte viele Jahre im Bereich der Medien mit der TU Hamburg-Harburg, vor allem im interdisziplinären Graduiertenkollege „Kunst und Technik“; sein Interesse am Verhältnis von der schönen zu den nützlichen Künsten bot dafür die beste Voraussetzung.
Er engagierte sich auch in anderen institutionellen Verbindungen der Universität: mit dem filmhistorischen Forschungsunternehmen Cinegraph, mit den Grazer Medienwissenschaftlern, er arbeitete in der Theodor-Storm-Gesellschaft, für die er Tagungen und Führungen organisierte, und er war nicht zuletzt Vorsitzender der Gesellschaft für Medienwissenschaft. Er setzte hier den Akzent auf der filmhistorischen Forschung und bemühte sich um eine klare Positionierung des Faches innerhalb einer breiter angelegten Wissenschaftsdebatte über die Zukunft der Wissenschaft von den Medien.
In den schwierigen und konfliktreichen Jahren des Umbaus der Hamburger Universität übernahm er auch umfangreiche Aufgaben in der akademischen Selbstverwaltung. Er war Mitglied des Akademischen Senats und Prodekan für Haushalt und Planung. Die von der Politik betriebene forcierte Fakultätsbildung, die Einführung der neuen Studiengänge kosteten unter einem Wissenschaftssenator, der den Geisteswissenschaften abhold war, viel Kraft. Harro Segeberg kämpfte für eine Universität, in der Lehre und Forschung weiterhin eine Einheit sein sollten und das Studium etwas mit Erfahrung von Welt und mit Bildung im emphatischen Sinne zu tun hat. Darin konnte er sehr energisch werden, auch in den Auseinandersetzungen mit den Kollegen. Immer ging es ihm aber um eine argumentativ geführte Debatte, um ein begründetes wissenschaftliches Wort.
Er war ein gewissenhafter und kenntnisreicher Lehrer, ein verlässlicher Kollege und ein Freund, mit dem man um Positionen ringen konnte.
Harro Segeberg ist nach schwerer Krankheit am 30. Mai 2015 gestorben. Sein Tod bedeutet einen großen Verlust. Er hatte noch viel vor. Er wird uns allen, den Kollegen und Kolleginnen, den Freunden, der Hamburger Germanistik und Medienwissenschaft fehlen. Wir trauern um ihn.
Knut Hickethier