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RNA als Einhorn-Wunderheiler

Auch in Deutschland findet Spitzenforschung statt.

nachfolgender Bericht gleicht einem Wunder. Aber auch in Deutschland gibt es weltweite Führungsideen und Technologie. Ein geiler Bericht aus der FAZ:

Krebs-TherapieMilliarden für ein Molekül

Kann man den Krebs mit einer Impfung bezwingen? Ingmar Hoerr glaubt daran schon lange. Jetzt hat der Biotech-Gründer aus Tübingen sogar Bill Gates von seiner Idee überzeugt.

05.09.2015, von SEBASTIAN BALZTER

© RAINER WOHLFAHRTIngmar Hoerr forscht seit fast zwanzig Jahren an Therapien gegen Krebs.

Woran erkennt man, ob eine ungewöhnliche Idee das Zeug zum wirtschaftlichen Erfolg hat oder nicht? Womöglich daran, dass ein alteingesessener Konzern ihr Vertrauen schenkt. Vielleicht auch an den akribisch gesammelten Daten eines wissenschaftlichen Tests. Ganz bestimmt aber dann, wenn diese Idee – und der Kopf dahinter – den reichsten Mann der Welt dazu bringen, einen Batzen Geld in sie zu investieren.

Sebastian BalzterFolgen:

Als Ingmar Hoerr vor gut einem Jahr zum ersten Mal Bill Gates traf, war genau das die Folge. Die Technik, mit der Hoerrs Firma Curevac eine neue Generation von Impfstoffen entwickeln will, hat den Microsoft-Gründer überzeugt. Mit umgerechnet 46 Millionen Euro hat sich die Stiftung, die Gates und seine Frau Melinda vor allem zur Bekämpfung von Krankheiten in der Dritten Welt ins Leben gerufen haben, danach an Curevac beteiligt. Es ist ihr bislang einziges Investment in Deutschland. Und ihre größte Unternehmensbeteiligung überhaupt.

Eine Dreiviertelstunde war für das Gespräch mit Gates angesetzt; zu Inhalt und Absicht war die Einladung im Ungefähren geblieben. Aber welcher Nachwuchsunternehmer hätte diese Gelegenheit verstreichen lassen? Wenn Bill Gates ruft, dann reist man an, egal wohin.

Bloß keine Powerpoint-Präsentation

Die Szenerie für die Zusammenkunft, wie Hoerr sie im Nachhinein beschreibt, war filmreif: Ein fensterloser Kellerraum in einem Pariser Hotel, die Wände unverputzt, Heizungsrohre unter der Decke. Und mitten im Raum ein Tisch, an dem sie sich nun gegenüber sitzen sollten: Auf der einen Seite der Milliardär aus Amerika, der mit seinem Vermögen die größte private Stiftung der Welt aufgebaut hat. Auf der anderen Seite der Biotech-Unternehmer aus Tübingen, dessen Firma anderthalb Jahrzehnte nach ihrer Gründung noch kein einziges Produkt auf den Markt gebracht hat.

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Klar, wer die Spielregeln diktierte. Bloß keine Powerpoint-Präsentation, legte Gates kurz vorher fest. In letzter Minute fand Hoerr einen Drucker, um seine Folien aus dem Laptop auf Papier zu bringen. Doch dann übersprang Gates ungeduldig Seite um Seite, eine Einführung ins Thema hatte er nicht nötig.

Die Frage, die ihn umtrieb, war: Wie unterscheidet sich Curevac von den Wettbewerbern, die an ähnlichen Projekten arbeiten? Hoerrs Antwort, leicht gekürzt: „Wir glauben nicht, dass wir es besser machen können als die Natur. Deshalb wollen wir keine künstlichen Moleküle bauen, sondern in der Natur genau diejenigen finden, die wir für unsere Zwecke nutzen können.“ Volltreffer.

Bill Gates und Gottvertrauen

Natürlich hätte die Sache, die Hoerr und Curevac zu Stars der deutschen Biotechbranche gemacht hat, auch daneben gehen können. Hoerr hatte Gates bis zu dem Rendezvous in Paris noch nie persönlich getroffen. Kurz vorher war die Gates-Stiftung aber schon zum Kooperationspartner von Curevac geworden – mit dem Ziel, eine neue Impfung gegen das Rotavirus zu entwickeln.

An dieser hierzulande harmlosen Durchfallerkrankung sterben in Afrika und Asien fast eine Million Kinder im Jahr. Sollte sich Gates die Sache anders überlegt haben? An dem Start-up aus Baden-Württemberg zweifeln? Dem Chef die Leviten lesen wollen? „Darüber habe ich mir überhaupt keine Gedanken gemacht“, beteuert Hoerr. „Ich glaube fest an den roten Faden im Leben. Deshalb hatte ich nie richtig Angst vor Rückschlägen.“

Gottvertrauen würde man das nennen, wenn der Begriff sich besser mit dem gängigen Bild von den Naturwissenschaften vertragen würde. Aber Hoerr hat so turbulente Monate mit glücklichem Ausgang hinter sich, dass es schwerfällt, all das nur dem Zufall zuzuschreiben. Er scheut sich nicht, von Demut zu sprechen. Nicht nur, dass Curevac dank Gates buchstäblich über Nacht für Investoren aus der ganzen Welt interessant geworden ist.

Biologie statt Chemie

Kurz zuvor hatte sich der Pharmakonzern Boehringer Ingelheim die Lizenzrechte an einem Lungenkrebsmittel, an dem Curevac arbeitet, gesichert – für eine Vorabzahlung von 35 Millionen Euro, aus denen im besten Fall 430 Millionen Euro werden. Das war schon ein Ritterschlag. Aber nichts gegen das, was Bill Gates nach dem Gespräch in dem Pariser Hotelkeller entscheiden sollte.

Und als dann die Nachricht vom Einstieg der Stiftung publik wurde, war Hoerr auch noch gerade zum ersten Mal Vater geworden. Zwei Tage vorher hatte seine Frau Zwillinge zur Welt gebracht. An Elternzeit war nicht zu denken, aber immerhin drei Wochen Sommerferien am Rand der Lüneburger Heide hat Hoerr sich nun mit der Familie gegönnt, Telefonkonferenzen manchmal mit einer Hand am Kinderwagen geleitet.

Hoerr hat Biologie studiert, als das Fach in den Karriereranglisten noch weit unten stand. Museumswärter oder Tierpfleger, sagt er, seien damals die üblichen spöttischen Prognosen für seine berufliche Zukunft gewesen. Wo sollte die wirtschaftliche Relevanz des Fachs auch liegen? Arzneimittel waren schließlich Chemie, nicht Biologie.

Unternehmensgründung beim Segeln

Die Erkenntnis, dass sich viele Krankheiten erst dann besiegen lassen, wenn der Mensch bis in seine kleinsten biologischen Bestandteile hinein erforscht ist, hat dieses Verhältnis in den beiden vergangenen Jahrzehnten umgedreht. Die Biotechnologie macht sich die Funktionsweise dieser kleinsten Teile, der Moleküle, zunutze, um eine neue Generation von Medikamenten zu entwickeln. Mit ihnen machen die Pharmakonzerne inzwischen mehr Umsatz als mit den althergebrachten Mitteln.

Als Hoerrs Studium in Tübingen sich dem Ende neigte, bahnte sich diese Entwicklung gerade an. Hinter dem angemessen sperrigen Titel seiner Doktorarbeit aus dem Jahr 1999, „RNA-Vakzine zur Induktion von spezifischen Antikörpern“, steckt die Beobachtung, dass Ribonukleinsäure, kurz RNA, ein verblüffendes Potential hat: Die weniger bekannte Schwestersubstanz der das Erbgut tragenden Desoxyribonukleinsäure, kurz DNA, findet ihr Ziel im menschlichen Körper mit erstaunlicher Treffsicherheit.

Sie könnte also Impfstoffe genau dorthin bringen, wo sie am besten ihre Wirkung entfalten können. Und sie könnte, so Hoerrs kühne Überlegung, die körpereigenen Abwehrkräfte gegen verschiedene Krebserkrankungen aktivieren, also eine Art Impfung dagegen ermöglichen. „Wir haben damals etwas Großes gesehen“, sagt Hoerr. Auf einem Segeltörn, den er zusammen mit anderen frisch Promovierten von Stralsund nach Bornholm machte, sei dann der Impuls zur Unternehmensgründung gekommen. „Diese Idee musste einfach jemand weiterverfolgen.“

Bewährungsprobe Prostatakrebs

Die eigene Doktorarbeit als Blaupause für die Unternehmensgründung, so fangen nicht nur Erfolgsgeschichten an, erst recht nicht in der Biotechbranche. In Deutschland schienen sich unternehmerischer Erfolg und Biotechnologie gegenseitig sogar geradezu auszuschließen. Anfang des Jahrtausends mit großen Erwartungen – und überzogenen Börsenkursen – gestartet, sind eine ganze Reihe von Unternehmen mit ähnlichem Hintergrund wie Curevac längst in der Bedeutungslosigkeit versunken.

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Entweder, weil die Investoren die Geduld verloren haben. Oder weil sich das vermeintliche Wundermittel aus dem Labor im Test an wirklichen Patienten als unwirksam oder sogar gesundheitsschädlich erwiesen hat.

Ingmar Hoerr und seine beiden Mitgründer, von denen einer bis heute mit ihm zur Unternehmensspitze gehört, hatten einerseits das Glück, auf den richtigen Kandidaten gesetzt zu haben. „Bisher hat die RNA alles eingehalten, was wir uns von ihr versprochen haben“, sagt Hoerr dazu. Konkret heißt das: Ein neues Mittel zur Bekämpfung von Prostatakrebs hat sich in einem ersten Test an Patienten bewährt, zwei weitere solche Tests gilt es noch zu absolvieren. Dann könnte – Anfang des kommenden Jahrzehnts – die Marktzulassung folgen.

Keine Biotechnologie ohne Hopp

Es ist andererseits aber bestimmt nicht nur dieses Glück, das Curevac von den vielen verblassten Hoffnungsträgern der deutschen Biotechnologie unterscheidet. Hoerr strahlt mit jeder Faser den unkomplizierten, zupackenden Pragmatismus aus, den Gründer brauchen. Das gefällt potentiellen Geschäftspartnern offenbar. Im Elfenbeinturm dagegen würde er sich nicht wohl fühlen, das sieht und hört man ihm an, beim Erbsenzählen auch nicht. „Zum reinen Wissenschaftler im Labor hätte ich auf Dauer nicht getaugt“, sagt er.

Der Umgang mit Milliardären liegt ihm besser. Das Treffen mit Bill Gates hatte jedenfalls einen Vorläufer, vor zehn Jahren schon. Nicht in einem Kellerraum, sondern auf einem Golfplatz – Gründer müssen da flexibel sein. Damals war esDietmar Hopp, mit dem Softwarekonzern SAP zu einem der vermögendsten Deutschen geworden, der Hoerr einigermaßen überraschend eingeladen hatte – und sich, ähnlich wie Gates, von ihm überzeugen ließ.

Eine Reihe von Debakeln

Dazu muss man wissen, dass es die Biotech-Branche hierzulande ohne Hopp und sein Geld wohl überhaupt nicht mehr gäbe. Hopp hat nach eigener Aussage mehr als eine Milliarde Euro in ein Dutzend verschiedene Firmen der Branche gesteckt. Eine Zeitlang sah es so aus, als habe er sich damit kolossal verzockt. Debakel reihte sich an Debakel.

Agennix aus Heidelberg war eine dieser Firmen, sie ist inzwischen liquidiert. Wilex aus München eine andere, sie hat sich nach Jahren kostspieliger Entwicklungsarbeit ein neues Geschäftsmodell suchen müssen. An Curevac hielt Hopp trotzdem fest. 166 Millionen Euro hat er bis heute in das Unternehmen investiert, so viel wie kein anderer.

Zum Wachsen verdammt

An Nummer zwei aber steht nun die Gates-Stiftung. Sie baut außerdem, im Vorgriff auf die zu erwartenden Mengen an Impfstoffen gegen eine ganze Reihe von Infektionskrankheiten, die sie in Zukunft von Curevac fertigen lassen will, gleich eine nagelneue Produktionsanlage in Tübingen.

Noch entscheidender für die Außenwirkung: Die Beteiligungssumme von 46 Millionen Euro steht für gerade einmal 4 Prozent der Anteile. Insgesamt schreibt das Curevac einen Wert von gut einer Milliarde Euro zu. Das ist so ungewöhnlich viel für ein Startup, dass sich in Amerika dafür eine märchenhafte Bezeichnung eingebürgert hat: „Einhörner“ heißen solche Unternehmen dort im Jargon der Investoren.

Das heizt die Spekulationen über den nächsten möglichen Schritt an, ein Märchen will schließlich niemand verpassen. Noch eine Finanzierungsrunde für noch mehr Kapital? Oder sogar ein Börsengang? Ingmar Hoerr ist Profi genug, um sich dazu nichts entlocken zu lassen. Nur eins sei sicher, sagt er. „Wir sind jetzt zum Wachsen verdammt.“

Das Unternehmen

Heilen heißt auf Englisch „cure“, Impfstoff „vaccine“. Die Kombination aus beiden Wörtern ergibt den Firmennamen Curevac. Die Idee dahinter ist, eine neue Generation von Impfstoffen zu entwickeln. Im Jahr 2000 gegründet, beschäftigt das Unternehmen inzwischen rund 200 Mitarbeiter. Wichtigster Geldgeber ist SAP-Gründer Dietmar Hopp mit seiner Beteiligungsgesellschaft Dievini.

In diesem Frühjahr wurde bekannt, dass außerdem die Stiftung von Bill und Melinda Gates Geld in das Start-up aus Tübingen gesteckt hat. Das Investment schreibt der Firma einen Wert von rund einer Milliarde Euro zu.

Der Mensch

Biologiestudium, Promotion, Firmengründung – mit diesem Dreisprung ist Ingmar Hoerr zum Unternehmer geworden. Wie viel Leid Infektionskrankheiten in Entwicklungsländern verbreiten, hat ihn ein Studienaufenthalt im indischen Madurai gelehrt, von dem er sich immer noch beeindruckt zeigt.

Das betriebswirtschaftliche Rüstzeug kam später mit einem MBA-Programm an der Donau-Universität in Krems dazu. In diesem März ist der Siebenundvierzigjährige, der in Tübingen arbeitet und in Stuttgart wohnt, Vater von Zwillingen geworden.

About the author

Giovanni

Giovanni ist studierter Jurist und Philosoph als Marketingleiter bei einem Mittelständler unterwegs, Geschäftsführer einer Agentur, ehrenamtlicher Sterbebegleiter, zertifizierter Trauerbegleiter, Beirat ITA Institut für Trauerarbeit, Mitgliedschaften: Marketing Club Hamburg, Büchergilde Hamburg, Förderverein Palliativstation UKE, ITA, Kaifu Lodge, Kaifu-Ritter