Trauer
Esssay über die Trauer
„Wir beginnen nun auch den ‚Zauber’ des Wortes zu verstehen. Worte sind ja die wichtigsten Vermittler für den Einfluss, den ein Mensch auf den anderen ausüben will; Worte sind gute Mittel, um seelische Veränderungen bei dem hervorzurufen, an den sie gerichtet werden, und darum klingt es nicht länger rätselhaft, wenn behauptet wird, dass der Zauber der Wortes Krankheitserscheinungen beseitigen kann, zumal solche, die selbst in seelischen Zuständen begründet sind.“ (Freud, 1890) (Prof. Verena Kast)
Verena Kast schreibt:”Angesichts des Todes stellt sich die Sinnfrage radikal. Ich habe bei Trauernden festegestellt, dass die Sinnerfahrung wieder gemacht werden konnte, wenn wirklich ein neues Selbst- und Welterleben erwachsen war und wenn ihnen bewußt wurde, dass der Tod des betrauerten Menschen ihnen nicht nur sehr viel genommen, sondern auch viel gebracht hatte. Das ereignet sich in einer sehr späten Phase einer gelungenen Trauer und nicht über den Schmerz hinwegtäuschen, über die Verzweiflung, die Abspannung, die Zerissenheit, die Entbehrungen der körperlichen Nähe, die der Tod eines geliebten Menschen mit sich bringt. Um wirklich trauern zu können, um den Verlust aufzuarbeiten ist die Bereitschaft… nötig, Tod und Trauer zu akzeptieren. Es ist nötig, dass die ganze schreckliche Verzweiflung als solche akzeptiert und als der Lebenssituation angemessen betrachtet wird. Zudem müssen die chaotischen Emotionen, insbesondere auch der Zorn, ausgehalten werden.Das geht leichter, wenn klar wird, das dieses emotionale Chaos dem Abbau alter Beziehungsmuster und der alten Gewohnheiten und damit dem Aufbau neuer Möglichkeiten gilt” (Die heilende Kraft der Trauer, Kreuz Verlag)
Wir Menschenkinder haben eine ganz außergewöhnliche Fähigkeit mitbekommen, die uns von allen Tieren unterscheidet. Die Ratio, unser Gehirn, dass in der Lage ist, sich und die Welt zu gestalten. Wir haben über unseren Geist die Möglichkeit die Welt erst zu denken, dann zu entscheiden und dann in Wirklichkeit zu ändern. Dieser Entscheidungsautonomie steht natürlich so einiges im Wege: die “bösen” Außenumstände, die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die Jugend, das Umfeld und diverse andere Faktoren. Es gibt seit Jahrhunderten einen Streit darum, was entscheidend ist: das Genom/ unser Erbgut, die Außenumstände (Behaviorismus) oder wir alleine auf uns selbst zurückgeworfen sind (Heidegger). Egal wie sich die Chemie des Lebens zusammensetzt, an einem Punkt können wir idR nicht selbst entscheiden: wann der Tod kommt. Im Gedankenkreis von Selbstbestimmung, das unser ganzes Leben kennzeichnet, würden wir eine Entscheidungsoption haben bezgl. des Todeseintritts. Aber der Tod sendet vorher keinen Boten, der mit unserem ich verhandelt, sondern er, der Tod oder die höherer Macht entscheidet alleine, autonom, rücksichtslos. Genau hier können wir eine Bruchstelle der Hier-und-Jetzt-Welt feststellen, wo wir uns ganz ausnahmsweise unserem Schicksal hingeben und akzeptieren müssen. Trauer ist ein Verlustgefühl, das sich besonders intensiv in unserem Seelenkosmos nachweisen läßt, wenn ein geliebter Mensch von uns geht, und das unwiderruflich, unumkehrbar. Das Ableben, Sterben und Tod und die Zeit danach ist einer der schlimmsten Lebensumbruchphasen in unserem Leben, wenn es enge Verpflechtungen, seie es Ehe, Lebenspartner- schaften oder Freundschaften, gibt. Früher gab es belastbare Auffangbecken für solche emotionalen Notlagen: die Kirche und ihre Seelsorge in der Gemeinde, die Großfamilie, bzw. Familienzusammenhänge. Heute hat die christliche Kirche in Hamburg nur noch 40 % Kirchensteuerzahler, maW hier entsteht ein Vakuum. Daher haben sich verschiedene Bestattungshäuser, auch das GBI Bestattungsinstitut zur Aufgabe gemacht selbst Trauerbegleitung anzubieten. Gleichzeitig hat sich im 21. Jahrhundert eine Tendenz von Weltverständnis durchgesetzt, dass eine maschinengleiche Betrachtung von Weltsteuerung und Eigensteuerung immer durchführbar wäre. Bei Facebook lesen wir, dass die Mediziner in 2017 Köpfe Transplantieren wollen.(Quelle). Aber es bleibt dabei: Der Tod ist eine unhintergehbare Wahrheit unseres Seins auf dieser Welt. Daraus folgt auch, dass wenn noch Liebe in dieser Welt unsere Herzen durchströmt, wir uns vergegenwärtigen müssen, dass sie nicht ewig halten kann, weil unser Sein begrenzt ist. Ein schöner Gedanke hierzu birgt ein wenig Trost: Spiegelbildlich zur Intensität der Liebe, die unsere Seele beflügelt, zeigt uns die Trauer medaillengleich die Tiefe der Trauer und dem damit verbundenen Schmerz. Bei einem Vortrag zum Walddörfer Hospiztag hat Prof. Traugott Rose ausgeführt, dass das Aushalten von Leiden und Schmerz eine neu zu belebende Tugend ist, die deutlich besser im Sterbeprozess angebracht ist, als die beschönigende Formel , “ach das wird schon wieder”, die gleichzeitig eine böswillige Realitätsverachtung konserviert. Im Gegensatz zum Sterbeprozess ist aber der Trauerprozess mit einer Perspektive versehen. Die Perspektive heißt Welt leben. Das Erinnerungen, Herzverstrickungen der Vergangenheit zu starken Rückwärtsbetrachtungen neigen, die einen in Tränen stürzen ist “logisch” und unabwendbar. Jedes Mal, wenn man an einen zeitlichen oder geografischen Ort der damaligen Gemeinsamkeit kommt, entzündet sich, unsteuerbar, ein schöner und schmerzgetragener Erinnerungsfunke. Wir sollten an unserer Haltung dann arbeiten und in Dankbarkeit sich der schönen Zeit widmen, dass einem diese Gemeinsamkeit geschenkt wurde.
Jetzt komme wir zum Kernelement des Trauerprozesses und der Trauer-Arbeit. Innerhalb der Trauergruppen, oder auch Einzelgespräche ist die Idee über verschiedene Methoden (Malen, Schreiben, Reden) eine andere, neue Haltung zum Tod zu begreifen und zu durchdringen. Wenn innerhalb eines halben Jahres verschiedene Impulse gesetzt worden sind, innerhalb der 20 Stunden, die die GBI Trauergruppen dauern, dann bewegt sich auch das Herzschild. Ganz klar: keinesfalls geht es darum irgendwas zu vergessen, sondern um eine andere Einordnung im Lebens- und Seelenkreis. Trauer ist ein Gefühl, das aufbraust und abdimmt. Trauer hat keinen vordefinierten Zeitraum. Früher war die Trauer auf das Trauerjahr begrenzt. Heutzutage nimmt die Wissenschaft keine klaren Grenzen an und wenn der Prozess drei Jahre dauert, dann kann das auch “normal” sein. Wichtig ist festzustellen, dass Verlust und Trauer einer normaler Prozess ist, der keinen Krankheitswert hat und nur in seltenen Ausnahmefällen psychologischer oder psychiatrischer Behandlung bedarf. Abzugrenzen ist der Trauerprozess auch zu einer medizinisch fassbaren Depression. Bei diesen Seelenlagen ist auf jeden Fall ein Facharzt oder Psychotherapeut aufzusuchen. Verborgene und nicht gelebte Trauer kann dazu führen, dass sie aufgrund eines Initationsereignisses zu einem Ausbruch kommt, die das Verschüttete in die Gefühlswirklichkeit spühlt, obwohl der Verlust schon Jahrzehnte zurückliegt. In der Praxis erleben wir das immer wieder, weil im 20.Jahrhundert die Trauer mit wenig Sensibilität betrachtet wurde. Ungeborene Kinder kommentiert wurden mit “dann machen sie ein Neues” und auch sonst vielleicht eher auf Verdrängen und Nicht-Zulassen von Gefühlen gesetzt wurde, als mit einer sensiblen Seelenlampe eine feinsinige Steuerung des weiteren Lebens vorzunehmen. Wir möchten in der Trauerarbeit Perspektiven eröffnen, und das Leben neu beleuchten, auch wenn viele Witwen und Witwer schon 50 Jahre ein Leben in Gemeinsamkeit gelebt und abgeschlossen haben, so ist der Lebenszweck noch nicht beendet. Der Lebenszweck ist ganz grundsätzlich gesprochen das Leben ansich zu leben.
Da wir immer länger Leben und immer seltener in Berührung mit dem Tod kommen, ist der Tod nicht mehr Teil unseres normalen Lebens. Vor 200 Jahren war die durchschnittliche Lebenserwartung deutlich unter 50 Jahren.
In unseren Trauergruppen machen wir immer wieder die Erfahrung, dass wir mit dem distanzierten Hingeben an die Gegebenheit des Seins unsere Schwierigkeiten haben. Das führt zu kruden Irrwegen der selbstbezüglichen Schuldzuschreibung, deren Kausalitätsbrücken sehr gewagt, bis abenteuerlich falsch sind. Sigmund Freud hätte das vielleicht als Sublimation beschrieben. Die Traurigkeit als undeutbare und schwer einordbare negative Kraft wird versucht mit dem Gehirn in eine altbekannte Schuldbahn zu lenken.
Die berühmte Psychologin Prof Verena Kast hat vier Trauerphasen destilliert. Das spannende ist, dass sie einer ähnlichen Dynamik unterliegen wie die fünf Sterbephasen nach Elisabeth Kübler-Ross. Wichtig ist beim Durchdenken dieser Phasen, dass sie nie immer in Reinform auftreten, das es keinen klaren Ablauf von eins bis vier gibt, es zu Sprüngen und Rückfällen (Regressionen) kommen kann und manches Mal auch eine ganze Phase ganz ausgelassen wird.Erste PhaseNicht-Wahrhaben-Wollen: Der Verlust wird verleugnet, der oder die Trauernde fühlt sich zumeist empfindungslos und ist oft starr vor Entsetzen: „Es darf nicht wahr sein, ich werde erwachen, das ist nur ein böser Traum!“ Die erste Phase ist meist kurz, sie dauert ein paar Tage bis wenige Wochen. Aber je unerwarteter der Tod auftritt, umso länger dauert meist die Bewältigung dieser ersten Phase. Zweite Phaseaufbrechende Emotionen: In der zweiten Phase werden durcheinander Trauer, Wut, Freude, Zorn, Angstgefühle und Ruhelosigkeit erlebt, die oft auch mit Schlafstörungen verbunden sind. Eventuell setzt die Suche nach einem oder mehreren „Schuldigen“ ein (beispielsweise Ärzte, Pflegepersonal). Der konkrete Verlauf der Phase hängt stark davon ab, wie die Beziehung zwischen den Hinterbliebenen und dem Verlorenen war, ob zum Beispiel Probleme noch besprochen werden konnten oder ob viel offen geblieben ist. Starke Schuldgefühle im Zusammenhang mit den Beziehungserfahrungen können bewirken, dass man auf dieser Stufe stehenbleibt. Das Erleben und Zulassen aggressiver Gefühle hilft dem Trauernden dabei, nicht in Depressionen zu versinken. Weil in unserer Gesellschaft Selbstbeherrschung ein hoher Wert ist und abhängig von familiären und gesellschaftlichen Prägungen sogar die Tendenz bestehen kann, Trauer ganz zu verdrängen, bestehen oft große Schwierigkeiten, diese Phase zu bewältigen. Indem die adäquaten Emotionen auch tatsächlich erlebt und zugelassen werden, kann die nächste Trauerphase erreicht werden. Dritte Phasesuchen, finden, sich trennen: In der dritten Trauerphase wird der Verlorene unbewusst oder bewusst „gesucht“ – meistens, wo er im gemeinsamen Leben anzutreffen war (in Zimmern, Landschaften, auf Fotos, auch in Träumen oder Phantasien …). Mit der Wirklichkeit konfrontiert, muss der oder die Trauernde immer wieder lernen, dass sich die Verbindung drastisch verändert hat. Der Verlorene wird bestenfalls zu einem „inneren Begleiter“, mit dem man durch inneren Dialog eine Beziehung entwickeln kann. Im schlechteren Fall lebt der Trauernde eine Art Pseudoleben mit dem Verlorenen, nichts darf sich ändern, der Trauernde entfremdet sich dem Leben und den Lebenden. Wenn der Verlorene aber zu einer inneren Person wird, die sich weiterentwickeln und verändern kann, wird die nächste Phase der Trauerarbeit erreicht. Besonders hilfreich erweist sich, wenn in dieser Phase des Suchens, des Findens und des Sich-Trennens auch noch ungelöste Probleme mit der verlorenen Person aufgearbeitet werden können. Bisweilen kommt es in der dritten Phase auch zu Wutausbrüchen. Vierte Phaseneuer Selbst- und Weltbezug: In der vierten Phase ist der Verlust soweit akzeptiert, dass der verlorene Mensch zu einer inneren Figur geworden ist. Lebensmöglichkeiten, die durch die Beziehung erreicht wurden und die zuvor nur innerhalb der Beziehung möglich gewesen sind, können nun zum Teil zu eigenen Möglichkeiten werden. Neue Beziehungen, neue Rollen, neue Verhaltensmöglichkeiten, neue Lebensstile können möglich werden. Dass jede Beziehung vergänglich ist, dass alles Einlassen auf das Leben an den Tod grenzt, wird als Erfahrung integrierbar. Idealerweise kann man sich dann trotz dieses Wissens auf neue Bindungen einlassen, weil man weiß, dass Verluste zu ertragen zwar schwer, aber möglich ist und auch neues Leben in sich birgt. (Zitiert aus Wikipedia)
Bildrechte pixabay CC Loewenstark
Autor: © Holger Wende, zertifizierter Trauerbegleiter, 28.2.2015