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Roma Vatikan Bib -Vergilius Vaticanus

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aus der FAZ


 

82.000 Manuskripte, 41 Millionen Seiten: In der Vatikanbibliothek wird ein ungeheurer Schatz gehortet. Die wertvollen Werke sollen nun mit viel Fingerspitzengefühl digitalisiert werden.

12.07.2015, von JÖRG BREMER, ROM

Der Viceprefetto der Vatikanbibliothek hält den Zeigefinger an den Mund, denn nicht einmal ein erstauntes „Oh“ darf die andachtsvolle Stille im „Salone Sistino“ stören. Dennoch richten sich böse Blicke auf den Besucher, denn der hat nicht nur seinem Staunen vernehmbar Ausdruck verliehen, sondern auch noch hörbar den Renaissance-Fresken an den Wänden näher zu treten gewagt, anstatt still vor einem Lesepult zu hocken und in einem mittelalterlichen Folianten zu lesen.

Hell fällt das Sonnenlicht in den ältesten Bibliothekssaal der – neben British Library und Frankreichs Nationalbibliothek – wichtigsten Sammlung von Manuskripten und Büchern auf der Welt. Der „Salone Sistino“ geht auf Papst Sixtus V. zurück, der 1587 für die offiziell von seinem Vorgänger per Bulle begründete Vatikanbibliothek eine festliche Hülle in Auftrag gab.

Im 70 Meter langen und 15 Meter breiten Saal können wohl 500 Wissenschaftler arbeiten, doch es sind meist nur ein paar Dutzend. „Es werden bald noch weniger werden“, haucht Viceprefetto Ambrogio Piazzoni und nimmt den Besucher zu weiterer Erklärung mit in sein Büro.

Friedhof vergrabener Werke

Auch Piazzonis Amtszimmer mit seinen antiken Möbeln gehört zu dem Bau aus dem 16. Jahrhundert, der auf den Cortile del Belvedere in der Vatikanstadt blickt. Die abgesessenen und zerschlissenen Seidenpolster auf den klassizistischen Stühlen gemahnen an die Vergänglichkeit aller Dinge. Bei den ehrwürdigsten Manuskripten aber soll nun mit diesem Verfall und Schwund Schluss sein.

Seit einigen Monaten werden die ersten von etwa 82.000 Manuskripten mit insgesamt 41 Millionen Seiten digital archiviert. Das Fotografieren der ersten 3000 Unikate kostet schon 18Millionen Euro. Über Crowdfunding werden deshalb Privatpersonen eingeladen, sich zu beteiligen und die Patenschaft für einen Text zu übernehmen. Eine Idee leitet das gesamte Projekt: „Wir wollen die Manuskripte möglichst schonend aufbewahren und erhalten. Andererseits sollen die Texte zugänglich bleiben, denn eine Bibliothek darf nicht zu einem Friedhof vergrabener Werke werden“, sagt Piazzoni. Danach verfahre man nun.

Die Aufbereitung für das Internet habe zudem den Vorteil, dass viele Gelehrte nicht mehr nach Rom kommen müssten, um die Schriften zu studieren. „Wem es nur um den Text geht und nicht um die Art des Papiers oder die Struktur der Schrift, wer nicht aus einem speziellen Grund an dem ganzen Dokument interessiert ist und es deswegen in die Hand nehmen muss, der kann sich in Zukunft die Reise nach Rom sparen“, sagt der Vizedirektor der Vatikanbibliothek.

Keine Reise für Texte

Das könnte auf fernöstliche Wissenschaftler mit Interesse an elf Aquarellbildern mit Figuren des japanischen Tanzes vom 16. bis zum 18. Jahrhundert zutreffen oder auf jene, die den Eid von 42 Christen aus dem japanischen Kuchinotsu nachlesen wollen, die 1613 schworen, ihre bedrohten Missionare zu verteidigen, auch wenn es das Leben kostet.

Fürs Internet gescannt wird auch der „Vergilius Vaticanus“ von etwa 400 nach Christus, eines der wenigen Beispiele eines illustrierten spätantiken Manuskripts, das sich schon der Renaissancemaler Raffael auslieh, und eine von seinem Zeitgenossen, dem Maler Sandro Botticelli, illustrierte „Göttliche Komödie“ des Dante Alighieri für den Florentiner Patrizier Lorenzo Medici aus dem 15. Jahrhundert.

Auch soll ein hebräisches Manuskript der Mischna, der zunächst mündlich überlieferten und später aufgeschriebenen Tora des nordafrikanischen jüdischen Gelehrten Moses Maimonides aus der Mitte des 15.Jahrhunderts aufgenommen werden.

Arbeit mit Handschuhen

Das japanische Unternehmen NTT Data, das mit demselben Verfahren schon die Parlamentsbibliothek in Tokio aufnahm, hilft bei der digitalen Archivierung der Einzelstücke, die es nur im Vatikan gibt. Zunächst seien Handschriften an der Reihe, die besonders empfindlich seien, brüchig, bedeutend oder kostbar, aber zugleich für besonders viele Nutzer von Interesse, sagt der Mittelalter-Historiker Piazzoni, der seit 30 Jahren in dieser Schatzkammer arbeitet. „Jede Seite braucht ein paar Minuten“, sagt er wenig später beim Gang durch die Scannerwerkstatt, wo es nach alten Büchern und Leim duftet und die Kopiermaschinen fast lautlos arbeiten.

Hier herrscht immer eine Temperatur von 20 Grad, die Luftfeuchtigkeit beträgt stets 50 Prozent. Gut ein Dutzend speziell geschulter Fachleute aus Italien und Japan arbeiten an der Digitalisierung. Sie tragen weiße Handschuhe und darunter keinen Fingerschmuck, der die Seiten verletzen könnte.

Aus unsichtbar wird sichtbar

„Dokumente in antiken Folianten, die nicht vollständig geöffnet werden können, fotografiert die moderne Technik so, dass der Öffnungswinkel des Buches möglichst klein bleiben kann“, sagt der stellvertretende Präfekt. Dafür gebe es Orbital-Scanner, bei denen die Bücher wie in einer Wiege mit der offenen Seite nach oben liegen und der Sensor sowie die Lampen auf sie hinunter schauen.

Das spezielle Licht sei ohne Infrarot- oder Ultraviolett-Anteile, denn jedes Blatt solle möglichst wenig davon abbekommen. Automatische Scanner, welche die Bücher selbständig umblättern, gebe es nicht. „Hier müssen Mensch und Technik zusammenarbeiten, um die Kostbarkeiten für die Nachwelt zu erhalten“, sagt der Fachmann. Dabei komme es bisweilen bei überschriebenen Manuskripten, den Palimpsesten, zu neuen Erkenntnissen.

Viele seien früher mit Chemikalien behandelt worden, um die Spuren der älteren Schrift hervorzuheben. Doch über die Jahre habe dies zur Oxidation der Schrift beigetragen, so dass sie nicht mehr leserlich sei. Der spezielle japanische Scanner mache die „untere“ Schrift wieder lesbar, wenn die „obere“ virtuell gelöscht werde.

About the author

Giovanni

Giovanni ist studierter Jurist und Philosoph als Marketingleiter bei einem Mittelständler unterwegs, Geschäftsführer einer Agentur, ehrenamtlicher Sterbebegleiter, zertifizierter Trauerbegleiter, Beirat ITA Institut für Trauerarbeit, Mitgliedschaften: Marketing Club Hamburg, Büchergilde Hamburg, Förderverein Palliativstation UKE, ITA, Kaifu Lodge, Kaifu-Ritter