„Ein sicheres Mittel, die Leute aufzubringen und ihnen böse Gedanken in den Kopf zu setzen, ist, sie lange warten zu lassen.“
Friedrich Wilhelm Nietzsche
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Ich aber bleibe
Und werde auf dich warten,
Bis in das Wehen
All meines schwarzen Haares
Der Rauhreif sich gesetzt hat.
aus Japan, 400 Jahre vor Christus
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Spannend ist, wie viel Geduld man in das Warten investieren soll. Es gibt in der Grundanlage duldsame Menschen, oder solche, die nichts erwarten können.
Geduld ist eine tolle Charakter-Tugend !
Wenn man sich das schöne Theaterstück von Samuel Beckett, „Warten auf Godot“ vornimmt, dann landet man schnell im absurden Gedankenraum. Deswegen wird in der Literaturgeschichte dieses Stück auch subsumiert unter Absurdes Theater. Die Feuerwehrpastorin E. Martens hat in einer Vorlesung über die berühmte Warum-Frage im Angesicht des Todes ausgeführt, dass die Akzeptanz des Absurden ein Teil eines Umgangs mit schwer fasslichen Situationen sein kann. (9.7.2015, Uni Hamburg)
Warten auf den rechten Augenblick ist eine spannende Fähigkeit. In der Abgrenzung sollte man aber immer sich vergegenwärtigen, dass bei phantastischen Gedankenbrücken und Erwartungswerten, Erwartungshaltungen es zielführend in den Abgrund führt. Weil das innere Fiktionskarusell uns in eine absurde Warteschleife führt. Beispielsweise haben viele Kriegswitwen auf die Heimkehr ihrer Männer nach dem 2. Weltkrieg gewartet und einige haben den Rest des Lebens auf sie gewartet. Das ist keine geglückte Lebensführung. In der griechischen Antike wurde der hübsche Begriff Kairos erfunden. Wikipedie schreibt dazu wie folgt:
Kairos (griechisch Καιρός) ist ein religiös-philosophischer Begriff für den günstigen Zeitpunkt einer Entscheidung, dessen ungenütztes Verstreichen nachteilig sein kann. In dergriechischen Mythologie wurde der günstige Zeitpunkt als Gottheit personifiziert.
Im älteren Altgriechischen wird der Terminus Kairos als der rechte Zeitpunkt erfasst und steht im Gegensatz zum langen Zeitabschnitt Chronos (χρόνος) und zum Tag (ἥημαρ). Erstmals wurde diese Besonderheit der ältestgriechischen Zeitauffassung problematisiert durch einen Aufsatz von Hermann Fränkel (1931). Kritisch weitergeführt wurde die Debatte u.a. vonMichael Theunissen in Auseinandersetzung mit der Lyrik Pindars.
In biblischen Texten wird das Wort Kairos für einen von Gott gegebenen Zeitpunkt, eine besondere Chance und Gelegenheit, den Auftrag zu erfüllen, verwendet.
Immanuel Wallerstein nimmt diesen Begriff in seinem Buch „Unthinking Social Science“ wieder auf, um eine postmoderne Theorie gesellschaftlichen Wandels zu formulieren. Für Giorgio Agamben ist der Kairos die Zeit der messianischen Erfüllung/Außerkraftsetzung des Gesetzes, in der der chronos „gestaucht“ wiederholt wird.
In der Philosophie ist es der entscheidende Augenblick selbst, in der Religion steht Kairos auch für die Entscheidung zwischen Glaube und Unglaube.
Mythologie
Anders als Chronos, der griechische Gott der Zeit, spielt Kairos in der griechischen Mythologie keine oder allenfalls eine kleine Nebenrolle. Ion von Chios (490–421 v. Chr.) nennt zwar in seinem durch römische Zitate überlieferten Triagmos den „jüngsten Sohn des Zeus“[1] eine poetische Erfindung, aber kein Beleg für eine olympische Genealogie. Erst durch die bronzene Plastik des Lysipp, Hofbildhauer Alexander des Großen, erhielt Kairos eine späte Aufnahme in den olympischen Götterhimmel.
Ein Kult des Kairos ist einzig an dem – nicht erhaltenen – Altar des Kairos in Olympia überliefert, der in der Nähe eines Hermes-Altars aufgestellt war, wie es Pausanias berichtet.[2] Allerdings zeugen Nachbildungen des Lysipp’schen Kairos von einem verbreiteten Kairos-Kult vom Hellenismus bis in oströmische Zeit. In der Ikonologie rückt Kairos zunehmend nicht nur in die Nähe von Hermes, dem schnellen Götterboten, sondern auch vonTyche, der Fügung des Zufalls, und der Nemesis, die die menschliche Hybris bestraft.
Poseidippos von Pella (3. Jahrhundert v. Chr.) hat in seinen Epigrammen aus Olympia auch einen Dialog des Betrachters mit Kairos verfasst:
„Wer bist du?
Ich bin Kairos, der alles bezwingt!
Warum läufst du auf Zehenspitzen?
Ich, der Kairos, laufe unablässig.
Warum hast du Flügel am Fuß?
Ich fliege wie der Wind.
Warum trägst du in deiner Hand ein spitzes Messer?
Um die Menschen daran zu erinnern, dass ich spitzer bin als ein Messer.
Warum fällt dir eine Haarlocke in die Stirn?
Damit mich ergreifen kann, wer mir begegnet.
Warum bist du am Hinterkopf kahl?
Wenn ich mit fliegendem Fuß erst einmal vorbeigeglitten bin,
wird mich auch keiner von hinten erwischen
so sehr er sich auch bemüht.
Und wozu schuf Euch der Künstler?
Euch Wanderern zur Belehrung.“
Die Redensart, „die Gelegenheit beim Schopf“ zu packen, wird auf diese Darstellung des Gotts zurückgeführt: Wenn die Gelegenheit vorbei ist, kann man sie am kahlen Hinterkopf nicht mehr fassen. Dementsprechend bezeichnet man in der Psychologie die Angst, Entscheidungen zu fällen, als Kairophobie.
Turin, Museum of Antiquities. Kairos. Marble bas-relief. Roman copy after the original by Lysippos îê. 350330
Deswegen sollte man im richtigen Moment die Reißleine ziehen. Eine Reißleine ist erfunden worden, um in Notsituationen durch „Reissen an einer Leine “ etwas zielführendes auszuführen. Zum Beispiel löst die Reißleine beim Fallschirmsprung das Auffalten des Fallschirms aus. Als Metapher benutzt man gerne den Gedanken an der Reißleine ziehen, wenn unhübsche, bis gefahrvolle Situationen durch das Ausbremsen gestoppt werden können. Oder anders formuliert: Wenn man das Warten leid ist, zieht man an der Reißleine der Seins-Wartung und beendet den Status des Wartens. Hier kommt dann das Phänomen der Abschreibung zum Tragen.