in Berlin finden immer wieder spannende Ausstellungen statt. Der Gropius Bau, in der Nähe des Potsdamer Platzes, wird ab dem 8.6.2018 eine Ausstellung in die Welt heben mit dem Namen
Welt ohne Außen
Das Label, was über die Konzeption gehangen ist, nennt sich Immersion.
Was heißt eigentlich Immersion? Der Duden hat vier Definitionen parat:
- (Physik) Einbetten eines Objekts in eine Flüssigkeit mit besonderen lichtbrechenden Eigenschaften (zur Untersuchung von Kristallformen und in der Mikroskopie)
- (Astronomie) Eintritt eines Himmelskörpers in den Schatten eines anderen
- Methode des Fremdsprachenunterrichts, bei der die Schüler von Anfang an in großem Umfang in der Fremdsprache unterrichtet werden
- (EDV) Eintauchen in eine virtuelle Umgebung
Die Kuratoren aus Berlin meinten aber sicherlich andere Bedeutungsperspektiven von Immersion: Im Gropiusbau kannst du eine Weltentgrenzung qua Kunstwerk erfahren, indem du dich in virtuelle Gedankenräume begibst. Spannend an dem Ansatz finde ich, dass die Kuratoren TINO SEHGAL & THOMAS OBERENDER sich auf die Wahrnehmungs_Entgrenzung in der Vorzeit der Computeristik gestürzt haben. Unter Virtueller Realität versteht man im 21 Jahrhundert virtuelle Räume, die qua VR- Brillen und Computerei in unserem inneren Vorstellungsbild gezeitigt werden.
Offensichtlich kann man den Ansatz aber auch schon mit tolerantem Atem in den 60er Jahren spüren. Zitat Presseerklärung: „Die Ausstellung „Welt ohne Außen“ spannt einen Bogen von Pionier*innen immersiver Raumgestaltung zu zeitgenössischen Positionen und bringt dabei verschiedenste Kunstformen und Disziplinen zusammen. Von Objekten über Installationen, Virtual Reality, 3D-Film, Aufführungen und Workshops entwickelt „Welt ohne Außen“ eine eigene Dramaturgie, die es jeder Arbeit ermöglicht, sich in ihrer je eigenen Zeitlichkeit zu entfalten.“
wir zitieren den Pressetext:
„Welt ohne Außen. Immersive Räume seit den 60er Jahren“ kombiniert zeitgenössische Werke bildender Kunst mit Aufführungen und Workshops. Erstmals wird vom Gropius Bau eine Dauerkarte aufgelegt, die den wiederholten Besuch erlaubt und dazu einlädt, die Ausstellung in all ihren Facetten wie ein Festival zu erforschen und im Rahmen der wechselnden Workshopangebote aktiv an ihr teilzuhaben.
Dabei werden Situationen der Ankunft, des Ein- und Auftauchens in einem Format geschaffen, das für eine nahezu gegensätzliche Modalität steht: die Ausstellung. Als ein Ritual der westlichen Moderne geht es dabei nicht zuletzt darum, eine bestimmte Vorstellung von Welt und Subjektivität zu etablieren: eine Welt, der man als Mensch gegenüberstehen kann, und eine Subjektvorstellung, die sich aus der urteilenden Distanz zu einem Gegenüber, dem (Kunst-)Objekt, generiert. Immersion hingegen stimuliert ein direktes und unmittelbares Erleben: Eingehen und Eintauchen, Teilsein und In-Beziehung-Stehen werden stärker akzentuiert. In diesem Sinne sind immersive Praktiken Ausdruck eines Weltverhältnisses, das an die Stelle eines Subjekt-Objekt-Dualismus Verwobenheit und Relation setzt.
Wenn Betrachter und Werk an Distanz verlieren, tritt die Frage nach der energetischen Aufladung, der Dichte und des Grads der eigenen Involvierung in den Vordergrund. Die Ausstellung skizziert dies in einem fließenden Übergang von nahezu noch traditionellen, minimalistischen Kunstobjekten hin zu Formaten, die, an der Schwelle von Kunst und Nicht-Kunst, aus anderen Kontexten einfließen und anderen Verabredungen unterliegen, wie beispielsweise immersiver Journalismus und die im wöchentlichen Wechsel stattfindenden Workshops.
Was wird gezeigt?
Den Auftakt der Ausstellung bildet eine Serie von historischen Arbeiten aus den späten 60er Jahren, die bei frühen Arbeiten von Larry Bell und Doug Wheeler ansetzt und diese einem „Ambiente Spaziale“ Lucio Fontanas und Nanda Vigos gegenüberstellt. Von hier spannt sich der Bogen zur zeitgenössischen Kunst: über die „Light Wall“ von Carsten Höller und Dominique Gonzalez-Foersters „Cosmodrome“ – zwei bedeutende Arbeiten aus den frühen 2000er Jahren – bis Cyprien Gaillards „Nightlife“. Der hypnotische 3D-Film markiert eine Schwelle des Übergangs vom bewegten Bild in virtuelle Räume, deren Konstruktion die VR-Pionierin Nonny de la Peña nutzt, um mithilfe virtueller Welten politische Realitäten eindringlich erfahrbar werden zu lassen. Neben vielschichtigen Geruchskompositionen von Wolfgang Georgsdorf gehören wöchentlich wechselnde Aufführungen im Schliemann-Saal sowie eine in Zusammenarbeit mit der Künstlerin Isabel Lewis konzipierte Workshop-Reihe zu den Elementen, die „Welt ohne Außen“ zu einem Format zwischen Ausstellung und Aufführung, zwischen dinglichem Werk und sozialem Prozess, Kunst und Nicht-Kunst machen.
Als zentrales Element der Ausstellung öffnet der Schliemann-Saal seine Türen mehrmals täglich für Aufführungen, die sich im Spannungsfeld von Bühnenhaftem und Situativem bewegen. Im wöchentlichen Wechsel sind hier Künstler*innen aus unterschiedlichsten Kontexten eingeladen, unter anderem Claire Vivianne Sobottke, Peter Frost und die Gruppe Le Frau, Maria Francesca Scaroni, Xavier Le Roy und two-women-machine-show.
Workshops zu Embodied Aesthetics
Das Workshop-Programm versammelt unterschiedlichste Ansätze körperbasierter Praxis und legt den Schwerpunkt auf „Embodied Aesthetics“, einer Verbindung also von körperlichen Vorgängen, dem „Fühlen“, und „Denken“ als intellektuellem Prozess. Der Workshop-Bereich erstreckt sich über drei Räume, in denen die Besucher*innen eingeladen sind, sich in drei Phasen auf die aktive Teilnahme einzulassen: von „Hospitality & Orientation“ über „Guided bodily practice and full-bodied engagement“ bis zu „Self-orientation, experimentation and play“. Die Workshops bieten Gelegenheit, sich mit verschiedenen Praktiken zu beschäftigen, die Einsatz, Hingabe und Engagement verlangen und bei denen nicht unbedingt ein künstlerischer Ansatz im Vordergrund steht, sondern die sich darauf konzentrieren, die Teilnehmenden „in der Welt“ zu verorten. Die Teilnahme steht allen offen und Spontanbesuche sind herzlich willkommen.
Die neue Dauerkarte
Im Sinne der Ausstellung legen die Berliner Festspiele eine Dauerkarte auf, die über die gesamte Laufzeit hinweg die Teilnahme an allen Workshops und Aufführungen ermöglicht.
Ausgestellte Künstler der Ausstellung Welt ohne Grenzen
Mit Cibelle Cavalli Bastos, Larry Bell, Laura Burns, Renée Coulombe, Lou Drago, Amit Elan, Fernanda Farah, Ed Fornieles Studios & Omsk Social Club, Lucio Fontana & Nanda Vigo, Peter Frost und die Gruppe Le Frau, Cyprien Gaillard, Dorota Gawęda & Eglė Kulbokaitė (Young Girl Reading Group), Wolfgang Georgsdorf, Dominique Gonzalez-Foerster, Stefanie Görisch, Jeppe Hein, Michael Helland, Hidden Agency / ∞OS und Gäste, Carsten Höller, Josh Johnson, Ana Jordão, just in f kennedy, Lea Kieffer mit Angela Schubot & Rocio Marano, Dambi Kim, Isabel Lewis, Matthew Lutz-Kinoy, Ángela Muñoz Martínez, Susan Ploetz, Thomas Proksch, Tabita Rezaire, Xavier Le Roy, Maria Francesca Scaroni & Mieko Suzuki, Chris Scherer, Scent Club Berlin, Tino Sehgal, Colin Self, Coral Short & Jean P\’ark, Ivona Sijakovic, Claire Vivianne Sobottke, Jessy Tuddenham, two-women-machine-show, Doug Wheeler, Helga Wretman, XenoEntities Network
Kuratoren: TINO SEHGAL & THOMAS OBERENDER
Kuratorische Mitarbeit: ANNIKA KUHLMANN
Workshops: Konzept und Programm: ISABEL LEWIS
Auch interessant in Berlin: Single Party in der Kulturbrauerei am 8.6.2018, hier weiterlesen. Noch spannender, weil umfangreicher um Kunst für die Ohren ist das Musikfest in Berlin, hier weiterlesen.